Quelle: PNP vom 23. Feb. 2017
150 Berufsschüler im Dialog mit Bamberger Schriftsteller und Islamwissenschaftler Nevfel Cumart
Deggendorf. Die Themen "Islam, Integration, Völkerverständigung und Demokratie" standen im Zentrum von drei jeweils 90-minütigen Dialogveranstaltungen mit dem Bamberger Schriftsteller, Islamwissenschaftler und Bundesverdienstkreuzträger Nevfel Cumart vor insgesamt etwa hundertfünfzig Schülern der Kaufmännischen Berufsschule.
"Die Welt sei gegenwärtig ein bisschen in Aufruhr und aus den Fugen geraten", stellte Schulleiter Johann Riedl in seinen einführenden Worten fest. Man wolle mit der angesetzten Unterrichtseinheit Licht ins Dunkel vieler Missverständnisse und weltweiter Konflikte bringen und für Aufklärung sorgen.
Der ausgewiesene Turkologe, Arabistiker und Islamexperte Cumart schilderte den angehenden jungen Fachkräften aus den Fachbereichen Einzelhandel, Großhandel, Industrie, Bank, Steuer und Büromanagement zunächst seinen eigenen Lebensweg in Deutschland. Geboren wurde er 1964 in Rheinland-Pfalz. Aufgewachsen ist er im niedersächsischen Stade an der Elbe. Sein Vater kam noch vor der großen Anwerbewelle von Arbeitskräften im Jahr 1960 als armer und ungebildeter "Gastarbeiter" aus der Türkei nach Deutschland und war Hilfsarbeiter in einem großen Aluminiumwerk. Nach der Grundschule kam Sohn Nevfel auf die Hauptschule, weil der Lehrer das damals so bestimmt hatte. Drei Jahre später gelang ihm aus eigenem Antrieb doch noch der Sprung auf das Gymnasium. Es sei sehr hart gewesen, den ganzen Lernstoff nachzuholen. Nach dem Abitur im Jahr 1985 machte er eine Ausbildung als Zimmermann, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, "auf den Bau gehen zu müssen". Mit Gesellenbrief und Abitur in der Tasche begann er dann ein Studium der Orientalistik an der Bamberger Otto-Friedrich-Universität. Seit seinem Studienabschluss 1992 ist er freiberuflich als Schriftsteller, Übersetzer, Referent, Dozent und Journalist tätig.
In erster Linie empfinde er sich als Mensch – ganz unabhängig von rechtlichen Regelungen der Staatsangehörigkeit. Auf die Frage einer Schülerin, ob er sich eher als türkisch- oder als deutschstämmig bezeichne, antwortete er: "Meine Eltern kommen aus der Türkei." Von einer darüber hinausgehenden Kategorisierung halte er nicht viel. Er kenne ja kein Leben außerhalb Deutschlands. Sein ganzes Leben habe er in Deutschland verbracht. Allerdings mache ihm seine Umgebung oft klar, dass er hier ein "Fremder" sei. Wie er denn seine
"Keine Ahnung, ob das türkisch oder deutsch ist"Tochter erziehe? "Keine Ahnung, ob das türkisch oder deutsch ist." Pünktlichkeit mag eine deutsche Tugend sein. Für ihn sei Pünktlichkeit wichtig, weil sie Ausdruck von Höflichkeit und Respekt gegenüber anderen Menschen ist. Deshalb versuche er seiner Tochter Pünktlichkeit beizubringen, ebenso wie Gastfreundschaft.
Was halten Sie davon, dass Muslime immer als Terroristen bezichtigt werden? Cumarts Antwort: "Das finde ich natürlich nicht gut." Man wisse in Deutschland viel zu wenig über den Islam und über die Muslime. Das halte jedoch viele Leute nicht davon ab, eine Meinung zu haben. Meistens seien das Klischeebilder oder plakative Vorurteile. Überall, wo es fanatische und ideologisch extreme Menschen gebe, da gebe es auch terroristische Auswüchse. Religionen seien nicht friedlich oder unfriedlich. Es seien die Menschen, die die Religionen auslegen, instrumentalisieren, ausnutzen oder missinterpretieren.
In den drei Doppelstunden wurde mit den Schülern eine große Fragenpalette durchgegangen. Zur Sprache kam auch die Dialogfähigkeit von Islam und Christentum, die Rolle der Frau in männerdominierten Religionen und das Verhältnis von der Scharia zum Grundgesetz. Die weltweit etwa eineinhalb Milliarden Muslime seien in sich höchst unterschiedlich und verteilen sich auf die großen Gruppen der Sunniten, Schiiten und Alewiten, erläuterte der Islam-Experte. Es gebe Gemeinsamkeiten, aber auch viele Konflikte untereinander.
Die Dialogveranstaltung mit Nevfel Cumart, dessen dichterisches Werk inzwischen achtzehn Bände umfasst, ist Teil des laufenden Sozialkundeprojekts "Deutsch? Nein Mensch! – Integration im Dialog", das die Berufsschullehrer Stefanie Zimpel und Michael Peter ins Leben gerufen haben. Unterstützt wird die Veranstaltungsreihe vom Bundesprogramm "Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit".
Im Juni will sich die Kaufmännische Berufsschule als "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" zertifizieren lassen. Darüber informierten die beiden Projektleiter Zimpel und Peter gemeinsam mit Schulleiter Oberstudiendirektor Johann Riedl im Rahmen eines kurzen Pressegesprächs. Weitere schulische Angebote, die sich dem Abbau von Ängsten und Vorurteilen gegenüber Ausländern sowie dem Verständnis gegenüber Fremden und anderen Kulturen widmen, seien in Planung.− rüs